Das Buch
Der Autor
Leseprobe
Kaufen
Handlungsorte
Fotoalbum
Kontakt
Sitemap

 

Erstes Zusammentreffen, Mai 1995

Meine Güte, was für eine Enttäuschung! Nasskalt, übler Geruch und hässliche Gegend. Dies waren meine ersten Eindrücke, als ich frühmorgens auf dem internationalen Flughafen São Paulo Guarulhos landete und aus dem Flughafengebäude auf die Straße hinaustrat. Meinen Traum vom tropischen Brasilien musste ich im wahrsten Sinne des Wortes erst einmal auf Eis legen. Südamerika empfing mich mit Nieselregen und rund 10 °C. Eine sorgfältigere Abklärung der klimatischen Bedingungen der südlichen Hemisphäre vor Reiseantritt hätte sicherlich nicht geschadet. Was soll’s, dachte ich mir. Ich kam ja nicht zum Vergnügen hierher, sondern der Arbeit wegen, und das Wetter würde sicherlich bald besser werden. Wenn nicht, wäre es auch egal gewesen. Denn das Wichtigste für mich war es doch, Auslandserfahrung zu sammeln, und das begann nun offiziell an diesem kalten Tag.

Aber was war denn eigentlich wirklich passiert? Was brachte mich in dieses so ferne Land? Die ganze Geschichte begann Anfang Mai 1995 im Büro in Ingolstadt. Mein Chef, Herr Koch, der eben von einer Geschäftsreise aus Brasilien zurückgekehrt war, berichtete in unserer morgendlichen Kaffeerunde, wie dieser aufstrebende Markt boomte und unsere lokale Vertriebsmannschaft mit Anfragen geradezu überhäuft wurde. Leider konnte man dies von der Verkaufsregion Osteuropa, der ich angegliedert war, nicht behaupten. Mehr als Scherz sagte ich daher zu meinem Chef, dass ich noch Kapazitäten frei hätte und jederzeit bereit wäre, dort unten auszuhelfen. Herr Koch nahm dies kopfnickend zur Kenntnis und wechselte dann das Thema. Zwei Tage später rief er mich in sein Büro und bot mir an, für fünf Monate in unser Büro in Brasilien zu wechseln, um die Kollegen dort bei der Projekterstellung zu unterstützen. Selbstverständlich überlegte ich nicht lange und sagte unverzüglich zu.

Bilder der Copacabana und weiterer Sehenswürdigkeiten Brasiliens schossen mir unmittelbar durch den Kopf, und ich erinnerte mich an einen meiner Lieblingsfilme, den ich als Kind sicherlich ein Dutzend Mal gesehen hatte. „Abenteuer in Rio“ heißt die Abenteuerkomödie, in der Jean-Paul Belmondo einen französischen Soldaten spielt, dessen Freundin entführt und nach Brasilien verschleppt wird. Rio de Janeiro, Brasília und der Amazonas sind Handlungsorte dieses Klassikers aus den sechziger Jahren. Mein Weg würde mich nach São Paulo führen, eine Großstadt, die gemäß meiner heimischen Weltkarte lediglich zwei Millimeter vom Atlantischen Ozean entfernt lag. Bei dieser Nähe zum Strand konnte die Stadt also nicht so sehr anders als Rio de Janeiro sein, dachte ich zumindest. Ich freute mich bereits auf die Ausflüge ans Meer, die ich nach der Arbeit unternehmen würde. Was für ein Glückspilz ich doch war!

Ich hatte genau zwei Wochen Zeit, um so zu träumen, denn eine Woche später lag ein Umschlag unseres Reisebüros auf meinem Schreibtisch, den ich hektisch öffnete. Darin befand sich das Flugticket der Swissair, ausgestellt für Mittwoch, den 24.05.1995. Mein Herz pochte wie verrückt, als ich die Destination São Paulo las, und ich konnte es kaum erwarten, dorthin zu fliegen. Noch am gleichen Tag kaufte ich mir einen Langenscheidt-Sprachkurs der Extraklasse zum Selbststudium. Mit einem Buch und zwei Audiokassetten verließ ich den Laden im Zentrum Ingolstadts, begab mich zum Parkplatz und legte die erste Kassette in den Rekorder meines VW Passat ein. „Bom dia!“, ertönte es aus den Lautsprechern. Wie gewünscht, wiederholte ich das Gehörte, und so kämpfte ich mich durch den 120-minütigen Portugiesisch-Kurs für Anfänger. Mein Gehirn reagierte jedoch zunächst sehr abweisend auf die neuen Vokabeln und die sehr komplexe phonetische Struktur. Zu sehr hatte ich meinen Kopf in den vergangenen Monaten auf die russische Sprache getrimmt, sodass mir der rapide Richtungswechsel wirklich schwerfiel und ich mir wünschte, man könnte sich in Brasilien auch irgendwie mit Russisch durchschlagen.

 

Alexander Stampfer
kontakt@tropikalisiert.com